Umgeben von einer Menge Demonstrierenden auf dem Placa de la Virgen in Valencia, gleiten ihre Arme in weit ausholenden Bewegungen durch die Luft, ihr Haar schwingt frei im Wind. Yasmin, eine 21-jährige Tänzerin und Künstlerin aus Teheran, die derzeit in Spanien studiert, ist auf einem Instagram Video zu sehen, wie sie anmutig einen traditionellen iranischen Tanz aufführt. Ihr Gesicht ist ruhig, ihre Bewegungen sind entspannt.
Hätte sie dies in ihrer Heimat Iran getan, wäre sie verhaftet worden. So erging es Astijazh Haghighi, 21, und ihrem Verlobten Amir Ahmadi, 22, im November 2022, nachdem sie ein Video von sich beim Tanzen vor dem Freiheitsturm in Teheran veröffentlicht hatten, auf dem Haghighi ihren Hijab nicht trug. Sie wurden zu zehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
In Valencia kann Yasmin tanzen, ohne verhaftet zu werden. Seit Anfang März letzten Jahres lebt sie dort und studiert Fotografie und Video, nachdem sie sich nach einer kurzen Reise in die Stadt verliebt hatte. Dort erlebte Yasmin erstmals einen friedlichen Protest, etwas, das sie und die anderen Demonstrierenden nicht gewohnt sind: "Niemand war da, um uns zu sagen, dass wir das nicht tun sollen, oder mit uns zu streiten oder uns zu schlagen oder zu erschießen", erinnert sie sich. Aber Aktivist:innen posteten ein Video von Yasmin beim Tanzen. Es ging viral, mehrere Protest-Accounts auf Instagram teilten es. Yasmin hat akzeptiert, dass sie wohl nicht wieder in ihre Heimat in Tehran zurückkehren kann. Ihre Familie rät ihr von der Rückkehr ab. Aktivist:innen, die in der Öffentlichkeit auftreten, bedecken in der Regel ihr Gesicht, um nicht vom theokratischen Regime erkannt und inhaftiert zu werden, aber Yasmin kannte das Risiko. Rumstehen und Nichtstun standen für sie außer Frage.
Sie war von klein auf mit Protesten konfrontiert: „Als ich acht Jahre alt war, gingen mehrere aus meiner Familie zu den Protesten, und ich sah durch ein Fenster zu, wie Menschen vor meinem Gebäude erschossen wurden." Proteste nach der Präsidentschaftswahl breiteten sich 2009 im ganzen Land aus, bei denen laut der Opposition mindestens 70 Menschen getötet wurden. Schon bald begann sie, mit ihren Freund:innen und Verwandten an mehreren Protesten teilzunehmen, was immer ein erhebliches Risiko darstellte, da es bei Protesten im Iran oft Festnahmen und sogar Tote gibt. Bei einer der Demonstrationen bemerkte sie einen grünen Laser, der auf ihre Stirn gerichtet war. Wenige Augenblicke später wurde ein paar Meter entfernt eine Frau erschossen. „Das hätte ich sein können", sagt sie heute.
Seit ihrem dritten Lebensjahr drückt sie sich durch Tanz aus. Da sie jedoch unter dem Regime des Theokraten Khamenei aufwuchs, musste sie ihr gesamtes Training im Verborgenen absolvieren: „Ich habe mit dem Tanzen begonnen, weil ich mich damit ausdrücke und etwas sage. Deshalb hatte ich immer damit zu kämpfen, dass ich nicht in der Öffentlichkeit in meinem Land tanzen konnte."
Der Iran hat eine sehr reiche Kultur des Tanzes und der Musik, die beide seit der iranischen Revolution von 1979 von der Regierung generell als Haram, also als Sünde, angesehen werden. Davor, erzählt Yasmin, gab es im Iran wie in anderen Ländern mehrere Tanzschulen, und Tanzen auf Partys war üblich. „Die Kurden haben einfach in die Hände gegriffen, abwechselnd ein Junge und ein Mädchen, um zu zeigen, dass wir alle eins sind", erinnert sich Yasmin. Seit der iranischen Revolution 1979 wird jedoch überwiegend nur noch hinter verschlossenen Türen getanzt. Die Partys, die einige der Jugendlichen immer noch veranstalten, erfordern strenge Gästelisten, Schalldämmung und Mut, denn wenn man von der Bassidschi-Polizei erwischt wird, kann das Gefängnis und 99 Peitschenhiebe bedeuten.
Seit den Ereignissen im Iran im September hat Yasmin jede Woche an den Protesten in Valencia teilgenommen und zusammen mit Freund:innen andere Initiativen durchgeführt, wie zum Beispiel die Aktion „Free hugs for Iran", wo sie sich mit Freund:innen auf einem belebten Platz trifft, und dort Passanten kostenlose umarmungen anbieten, um mit ihnen ins Gespräch zu kommen und auf den humanitären Kampf aufmerksam zu machen, und ist zu größeren Protesten in der spanischen Hauptstadt Madrid gereist.
In den jüngsten Protesten war der Tanz eine wichtige Form des Widerstands. Yasmin erklärt, dass sich die Demonstrierenden in Teheran oft am Freiheitsturm, ein Wahrzeichen der Stadt und oft ein Zielort für Proteste, versammeln. “Sie legen ihren Hijab ab und tanzen mit einem Partner. Sie fassen sich an den Händen und küssen sich. Sie umarmen sich – alles, was man auf der Straße nicht tun darf, um zu zeigen, nein, wir hören euch nicht mehr zu."
Während der Proteste legten viele Frauen im Iran ihre Hijabs ab und verbrannten sie, und selbst jetzt, wo die Proteste deutlich nachgelassen haben, tragen viele Frauen ihr Kopftuch nicht. Diese und ähnliche Aktionen des Widerstands gehen weiter. Yasmin weiß nicht, wie es im Iran weitergeht oder wie viel ihr Protest tatsächlich bringt. Aber wenn sie tanzt, bewahrt sie ein wenig die Kultur des Irans – und kämpft zugleich gegen die Unterdrückung.
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